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"Ja, ich war Schülerlotse am Niederrhein!"
Manchmal muss man auch den Mut besitzen, mit sehr, sehr, seeeeehr intimen Bekenntnissen eine Kolumne zu füllen. Immerhin besser, als wenn ich es irgendwelchen Popliteraten aus Berlin gleichtäte und über meine Befindlichkeit nach dem Aufstehen schriebe...
Ich sitze also in einem jlabbacher I-Net-Café, in dem ich sonst nur Fussballbrandbriefe schreibe, und bastele an K52. Darüber zu schreiben, dass man in der siebten und achten Klasse Schülerlotse war, beweisst eine freiwillige + bindungslose Coolness, die nur damit zu vergleichen ist, mit einem PUR-Aufkleber auf dem Wagen jahrelang durch die Weltgeschichte zu fahren! Anderthalb Jahre war ich das Gesetz des Zebrastreifens, war ich der Marshall der Marktfeldstrasse!
Das bewegende Ende dieser steilen, anderthalbjährigen Schülerlotsenkarriere zuerst: Olaf und ich fahren nach Ableistung unseres heroischen, morgendlichen Dienstes an der Allgemeinheit von "unserer" Kreuzung zur Schule. Priviligiert, wir wir damals waren, durften wir eine Marburger Taxiwartzeitspanne (5 bis 8 Minuten!) später zur ersten Stunde kommen. Wir hatten uns am benachbarten Kiosk noch ein Mohrenkopfbrötchen geleistet und fuhren dann aus Schnelligkeits- und Bequemlichkeitsgründen mit unseren klapprigen Rädern auf dem Bürgersteig zur Schule - der Anfang vom Ende! Zwei freundliche Herren von Grün-Weiss-NRW (vulgo: Polizisten) halten uns an und teilen uns mit, dass wir ob unseres Verbrechens, auf dem Bürgersteig fahrradfahrend aufgegriffen worden zu sein, eine Verwarnung zu zahlen hätten. Ich dachte, man könne die beiden Gesetzeshüter von diesem uneinsichtigen Vorgehen abhalten, stieg vom Rad und sagte, äugskenknipsend: "Wir sind doch eigentlich Kollegen, da könnten sie doch darüber hinwegsehen, oder?!" Konnte er nicht, ich glaube er lachte mich sogar aus, brach mir mein kindliches Herz und wollte ungerührt von Olaf und mir DM 5,--, welche wir aushändigten und dafür eine Quittung erhielten. Nicht auszudenken, wieviel Dolomiti und Flutschfinger wir davon hätten kaufen können. Ich aber beschloss mein Schülerlotsenehrenamt an den Nagel zu hängen und reichte voller Pathos meinen Rücktritt ein!
Die Zeit der selbstherrlichen Blockwartmentalität war vorbei, die Zeit, als wir überlegten, Zollstöcke einzupacken, um Autos, die zu nahe an "unserem" Zebrastreifen parkten unseren Ex-Kollegen der Polizei zu melden - sie war weggewischt; wir waren aufgewacht aus dem tiefen Law-and-Order-Traum! Und dennoch war es eine wilde Zeit als Schülerlotse: Als Dank für unseren Dienst an der Allgemeinheit erhielten David, Olaf und ich eine Rundfahrt über den Rhein, ich glaube es war der Rhein, die Niers ist nur semischiffbar. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, das der Schülerlotsenobmann uns Getränke ausgab. Er kam an unseren Tisch und meinte "Wollt Ihr eine Cherry-Coke?" - damals neu am Markt und wahnsinnig en vogue. Meine Wenigkeit antwortete: "Nein danke, ich trinke keinen Alkohol!". Waren meine Englischnoten eigentlich damals so hervorstechend wie meine Höflichkeit?!?! Ich kann es nicht mehr erinnern...
Der Rest dieser Zeit ist verdrängt, mit meinem Therapeuten aufgearbeitet etc. Es gab noch eine tolle Verlosung an Bord, bei der ich auch noch gewann - und zwar einen Rundflug über Mönchengladbach! Wunderbar: Zum vereinbarten Termin wurde ich mit einem Streifenwagen abgeholt, die Nachbarn drückten sich die Nasen an den Fenstern platt (Jaja, der Heiko, ich habe ja immer gewusst, dass es mit dem mal ein schlimmes Ende nehmen wird) und ich stieg in den Wagen ein, um zum kakfaesken Flughafen meiner Heimatstadt gefahren zu werden. Erwähnte ich, dass ich bei allen die Rheinische Post nicht lesenden Nachbarn in den nächsten Tagen einen gewissen Erklärungsbedarf hatte?!?!
Ich bin heute waaaaaaaaaaahnsinnig traurig, dass ich mein Schülerlotsenlogbuch, das mir beim 1999er Umzug meiner Mutter in die Hände fiel, dem Altpapier übergab. Eine wunderbare Sammlung von Autokennzeichen war enthalten, deren Fahrer sich meiner Meinung nach schlimmer Vergehen schuldig gemacht hatten: Sie waren zu schnell auf den Zebrastreifen zugefahren, hatten unsere Anweisungen mannigfaltig ignoriert - und natürlich - zu nahe am Zebrastreifen geparkt. Unter "Besondere Bemerkungen" hatte ich einmal notiert, dass ein Oberstufenschüler sich uns gegenüber Freiheiten rausgenommen hatte und uns verhöhnte - samt genauer Personenbeschreibung und Phantombild!
Ja, das waren so in etwa die Highlights meiner Schülerlotsenzeit. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ausser, das wir bei ungeliebten Schülern manchmal daran dachten, einfach anzudeuten, das wir den Verkehr aufhalten und dann den Zebrastreifen wieder zu verlassen. Leider ist mein Hundertprozentplastikcape, mein Plastikkoppel und meine Kelle irgendwie verschwunden... man könnte das jetzt toll auf eBay verkaufen, da findet jedes Zeug (und ich meine: Jedes Zeug!) seinen Abnehmer... Wir waren mit zuviel Machtfülle ausgestattet, wir agierten wie paranoide Androiden... wir waren sehr verkopft. Schön, dass wir mal drüber geredet haben...
Kixi, der Bierjungenheld mit der bekannten 15-Schluck-Technik, meinte in aufgelöster Totalempörung, als ich an der Theke über mein Vorhaben einer Schülerlotsen-Kolumne sprach:
"Waaaas, du warst Schülerlotse? Boar! Total uncool! So was brauchten wir garnicht, wir haben schon in der ersten Klasse gelernt, über die Strasse zu gehen!", ich antwortete: "Jaja, wir in Mönchengladbach hatten aber auch Autos!" Mit dieser lange in der Hinterhand behaltenen Pointe möchte ich enden.
Falls noch jemand einen intellektuellen Appetizer für den sonntäglichen Marktfrühschoppen benötigt, kann er/ sie es [hier] versuchen.
Eine schöne Woche wünscht Euch euer Ex-Schülerlotse Schomberg!
P.S. Die Stunde Schreiberei im I-Net-Café haben exorbitante 2 EURO gekostet: Ihr wisst, was das zu bedeuten hat ;-) Herzergreifende und -weichende Spendenaufrufe folgen! |