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Wie ich an einem Freitagabend meine fussballerische Unschuld verlor....



Graphik aus: Schümer, Dirk, "Gott ist rund. Die Kultur des Fußballs", Suhrkamp, Berlin 1998, Seite 190.

Ursprünglich wollte ich diese Folgekolumne "Ich kam als Fussballfan.... und ging als Ethnologe" nennen, doch will "Schombergs Welt" nicht die Schuld auf sich laden, zur Entfremdung zwischen Ost und West - und das im fünfzehnten Jahr der Einheit - mit beizutragen. Also entschied ich mich für den obigen Titel. Noch eine Warnung für akademische Feingeister vorneweg: Da ich aus dem Fussballmilieu berichte, lassen sich - dies ist der Authentizität geschuldet - gewisse Kraftausdrücke aus dem Bereich "Verdauung und käuflicher Liebe" leider nicht vermeiden! Dennoch: Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gibt es eine enge Verquickung zwischen "Fusslümmelei" und einem Teil des Akademikertums, den neudeutsch "AcademicBoyz" genannten Anhängern. Und nun also zum Frontbericht, wie ich meine fussballerische Unschuld verlor:


 

Lange hatte ich mich auf diesen Tag gefreut: Um 17.30h das Büro verlassen, im SPAR auf der "Kö" (wie man hier sagt!) ein Radeberger aus dem Kühlschrank (0,5l / 78 Cent ohne Pfand) mitgenommen, den Fernseher angemacht, in Ermangelung einer Musikanlage onyx.tv auf suuuuperlaut gestellt, mich für's Spiel fertigmachen, MG-Retro-Shirt zum schnüren (schwarz), Dynamoschal (ausgebleicht), Tolle (eher angedeutet), Maulkorb (gedacht), das Bier noch in der Wohnung scoren, dann nochmal versuchen wie ein einheimischer Fan zu klingen, das "Düüüüühnamoj!" vor dem Spiegel geübt und um 18.00 Uhr mit der der StraBa zum Rudolf-Harbig-Stadion.

 

Gegeben wird heute: Dynamo Dresden gegen den Karlsruher SC. Die scharfen Einlasskontrollen sind beim "deutschen Millwall" [(c) by CAFH] durchaus gerechtfertigt. Grundaggressive Stimmung, auch bei den Dynamos untereinander. Ich rede nicht bis wenig (dialektisch betrachtet!), der Erste mustert intensiv die Raute meines Retrotrikots, der Schaltarnhelm jedoch erfüllt seinen Dienst und bewahrt mich vor etwaigen "Sanktionen".

 

Dann, hinter dem Passieren des Stadioneingangs, die Menschwerdung des Klischees: Der Ordner, der mich personenkontrollierend abtastet. Ich halte ihm, erfahren wie ich bin, meine geöffnete Zigarettenpackung vor das metallverzierte Gesicht damit er sieht, dass ich keine Feuerwerkskörper mit mir führe. Dann sehe ich die "HASS"-Tätowierung auf seinen Fingerknöcheln. Dial-a-Cliché! Es passt einfach alles! Der KSC ist LR-Ahlen-esk zu Beginn mit ca. 30 Awaysupportern vertreten. Es folgt eine schöne Choreographie der Dresdner. Und: Auch am Kalauer kann der Stadionsprecher was, es gibt eine Dynamotankstelle, an deren Umsatz der Verein beteiligt ist und diese wird mit dem Slogan "Dresden betankt sich!" beworben. Heissa - das kann ja ein wirklich lustiger Abend werden. Überall in Dresden wird das hervorragende Radeberger ausgeschenkt - nur hier gibt es Warsteiner (sic!), den 0,3l-Becher zu 2 Euro. Naja - die Verbindung Dresden-Warstein ist vermutlich genauso natürlich gewachsen, wie die Städtefreundschaft "Jever-Mönchengladbach". Á propos Radeberger: Es ist keine urban legend, ich habe es mit eigenen Ohren gehört, deutschsprachige Touristen, die durchaus die eine oder andere Fussballübertragung sahen, dann nach Dresden kamen und vor der Semper-Oper stehend sagen "Och, das Radeberger Brauhaus ist aber ein richtiger Prachtbau, schön hier am Elbufer im Ortsteil Radeberg..."

 

Zurück zum Spiel. Ein Allerweltsfoul der Karlsruher, der K-Block kommentiert es mit einem frenetischen "Ihr seid Wessis, asoziale Wessis, ihr schlaft unter Brücken - oder in der Bahnhofsmission!". Das kannte ich bisher noch nicht! Da ich - nicht nur fussballerisch betrachtet - sehr behütet gross geworden bin, war es mir bekannt, obigen Sprechgesang zu nutzen, in dem man den Städtenamen des gegnerischen Teams einsetzte. Und auch wenn attraktive Traditionsvereine wie Cottbus, Chemnitz, Zwickau oder eben auch Dresden gegen einen spielten, kam zumindest in meinem Fussballnahumfeld niemand auf die Idee, den Teamstädtenamen durch ein "Ossis" zu ersetzen. Fühle mich slightly unwohl im Block "L". Ich kommentiere das Spiel - trotz meines Dialekts - dann doch. 15 Jahre nach der Wende muss doch jemand die Fahne des Fussballsachverstandes hochhalten! Interessant auch: In den Reihen der Dynamospieler ein Schwarzafrikaner, bei jedem Ballkontakt rufen ein paar begeistert "Afrika!". Ab und zu werden Urwaldgeräusche imitiert. Mittlerweile bin ich nicht mehr bei einem Fussballspiel, sondern bei einem Studium unbekannter Völker (vgl. auch Österreich, Republik). Es steht 0:1 nach Halbzeit eins, dies nach einem krassen Torwartfehler des "Ich-bleibe-bei-der-Flanke-auf-der-Linie-kleben"-Dynamisten (sagt man so??) Und das, obwohl der KSC nach einer roten Karte nur noch zu zehnt spielt. Das Foul, das zur roten Karte führte wird völkerverbindend mit einem charmanten "Ihr dreckigen Wessischweine!" begleitet. Auch der sächsische Genetiv kommt breit zur Geltung, in der Pause streife ich interessiert im Dynamofanblock umher, entdecke ein Graffito auf einem Würstchenwagen: "Hool's". Hool's! Mein Gott, warum hast Du mich verlassen! Danke, Pisa, wir wissen wo Dein Auto steht!

 

Halbzeit 2: Karlsruhe macht das 0:2 während ich mir ein Bier hole, so round about Minute 50, danach drückt Dynamo und hat jlabbacheesk 40.000 hochkarätige Chancen, macht aber nur eine Bude. Nach dem 1:2-Anschlusstreffer kocht die Volxseele, ich bin dann zehn Minuten vor Schluss gegangen, ich wollte natürlich nur den übervollen Trams entgehen. Ich hatte genug gesehen. Doch, einer Innovation (für mich) durfte ich beiwohnen. Ich durfte einen neuen Sprechgesang (im Stakkato von "Alles ausser Fussball ist scheisse!") kennenlernen: "Warum seid [seht?] Ihr Huren so ähnlich"! Wahre Bildungsbürger! Wahre Bildungsbürger! Ich jedoch, der Alexander von Humboldt der Fussballstadien, habe genug gesehen und ziehe mich in meine Kemenate zurück, um meine Erlebnisse der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, so schnell getraue ich mich nicht wieder, einen solch hochexzentrischen Ausflug zu machen.

 

Vom Kongress der Europäischen Ethnologen der Reserve grüsst Euch Don Schomberg (Pendler zwischen "L"-Block und Soy's Sushibar).