Kolumnengott,
John Wayne der Briefe, Rädelsführer der unbequemen Wahrheit:
Sie schreiben ohne Schere im Kopf. Manchmal jenseits der Logik, jenseits des Geschmacks, stets irgendwie gegen den Mainstream, und immer: Für mich! Schmerzen kennen Sie nicht, Wortgesetzloser! Sie finden für die Themen, für die niemand mehr ein Auge hat, ein Gespür!
Sie schreiben so, wie man mit vertrauten Freunden, wie man an feucht-fröhlichen Abenden in der Parisbar, im Einstein spricht. Und manchmal schiessen Sie über’s Ziel hinaus und hetzen, und oft genug bleibt das Gefühl: Er sagt doch so wie es ist. Ich wünschte, es gäbe einen Sammelband Ihrer Briefe; ein Freund, der Sie genauso vergöttert wie ich, schrieb auf meine eMail „’Mr. Inhalt ist scheisse - Anreise zählt’ hat wieder gottgleich zugeschlagen!“, unlängst:
„laß uns das mal ernsthaft in angriff nehmen, wir schreiben ne mail an ihn und bitten inständig um nen sammelband, aber nit irgendwas billiges bei bastei-lübbe, sondern ne prachtausgabe im manesse-verlag.“
Oder wie ich es sagen würde: OHNE IHRE KOLUMNE WÄRE ICH EIN INDIANER! Ich glaube zu wissen, dass es Ihnen ernst ist, dass Sie jedes Wort so meinen, wie sie es schreiben! Denn nur Sie können dem Tod die Maske runterreissen, in dem Sie schreiben: „Er war der Vater der Sonnencreme.“ Sie machen keine Gefangenen, kein Pardon wird gegeben.
In meinem Lieblingsinternetforum habe ich eine „Wagnerecke“, einen Schrein für Sie eingerichtet, aber die meisten wissen Ihr Werk nicht zu würdigen, behaupten, Sie schrieben Indianer, denn „er weiss nur nicht wie ‚Maori" oder "Aborigines" geschrieben wird.“
Die haben nichts verstanden: Schreiben ist Krieg, schreiben ist Liebe. So ein Wort wie Lieblingsinternetforum kennen Sie gar nicht, dafür verachten Sie mich, Sie sind ein Saurier, richtige Männer haben sowas eigentlich nicht. Und ich weiss, warum ich Ihre Post so liebe: Sie meinen’s ernst. Todernst. Sie sind kein Ironiker. Wir da draussen wissen: Der Mann schreibt schließlich um sein Leben. Um unser Leben.
Sie sind für mich die Blaupause für selbstbestimmtes Handeln, für wahrhaftes Schreiben. Ihres ist wie Fussball ein klassenloses Ereignis: In der Wortkurve erreichen Sie die Arbeitslosen aus Ihrem Haus, die Nutten, die Aufsichtsräte, Berlin, die Alkoholiker und Ammen. Sie sind der Führer dieser Wortkurve – und sie sind wirrhaarene Kunst: Ihre Metapher für gelungene Integration ist „Topfpflanze“. So sind Männer. Ihre vom Leben gezeichnete Physiognomie spuckt den Kulturbeckhams dieses Erdenballes ins Gesicht. Sie kennen die Arbeitslosen („(...), die am Rande des Ausgestoßenseins leben. Sie sind meine Mitbewohner. Ein Stockwerk unter mir und ein Stockwerk über mir – und sie betrinken sich, leider, weil sie keine Arbeit haben.“), sie leiden an ihrer Stadt für Männer („In Berlin haben wir keine Berge, keine Helden, keine Goldmedaillen.“) und Sie haben die endgültige Wahrheit über die Welt gebracht: „Sport und Humor sind so falsch wie Lachen beim Sex.“
Männer wie Sie sind einsam, sie haben nur ihren Wodka und die Reiseschreibmaschine. Sie sind ein Handwerker, der das dreckige Klo in einem Junggesellenhaushalt repariert: Ihre selbstgedrehte Kippe „Schwarzer Krauser“ oder Reval ohne Filter, vielleicht auch Gitanes ohne, legen sie auf der Klobrille ab, schneiden die Bodenfliese mit der Hand und stecken sich dann die Kippe vom Deckel wieder in den Mund. Ihre Fliesen sind Worte. Sie mögen Oliver Kahn, weil er Eier hat und nicht so eine intellektuelle Torwartballerina wie Jens Lehmann ist. Torhüter müssen kein Fussball spielen, sie müssen sich im Fünfmeterraum wie Bären bewegen und scharfgeschossene Bälle des Feindes abwehren. Das Schwache (Wahrig, Duden) existiert nicht. Sie Gott!
Und doch sind Sie in Momenten schwach, zumindest gegenüber George Clooney: „Sie sind Mr. Dream, ich bin Mr. Kröte.“ Auch er ist irgendwann nur noch „der Fürst des sich langsam bräunenden Körpers.“ Ihr Werk bleibt jedoch. Ihr Schlafzimmerblick ist das Wort, Buchstabendesperado, Sie brauchen keine Attraktivität („Schöne Männer waren wie die Beine von Marlene Dietrich, Transen, Schwuchteln“), denn Sie haben Ihr Schreibmaschinengewehr! Und die Kulturschaffenden schweigen in stiller Andacht. Und sind fasziniert, auch wenn sie es nicht zugeben können. Sie sind der Han Solo des Boulevards, sie müssen ein einsamer Wolf sein, um zu schreiben („Ich habe keine Angst vor der biologischen Erektion. Ich habe Angst vor dem Reden. So bleibe ich Single.“). Und dennoch schaffen Sie Sprache und Bilder, wo vorher keine waren. Sie haben die Gutworte, die ewigen Weisheiten und Bilder in unsere Welt gebracht: „Saufen ist weinen“ (Über Väter und zum Tod von Harald Juhnke), „(...) dann geht’s mir wie beim Anblick einer Büchse Ölsardinen. Ich fühle nichts.“ (Vogelgrippe); zum WM-Titel im Frauenfussball („...ihr seid nicht Weltmeister in Blinde Kuh geworden. Der Ball, den Ihr spieltet, war kein Streicheltier. Es ist das Ei des Mannes.“) und immer wieder die Pflanze als Erklärung für Gefühl & Geborgenheit, Heimat: „In unserer Einsamkeitsgesellschaft leben die Leute mit Kanarienvögeln, Hündchen – und am liebsten redeten sie mit Tante Bio, unser aller Zimmerpflanze.“ (Über Alfred Biolek), und, und, und. Ich habe seit „Ausweitung der Kampfzone“ alles von Houellebecq gelesen, aber sie haben den depressiv um sich selbst drehenden Künstlerquatsch auf einen ganz einfachen Nenner eingekocht: „In meiner kranken Welt habe ich eine tiefe Sehnsucht nach Gesundheit.“ (13.02.2006). Dafür: Danke! Das war der endgültige Auslöser – ich musste Ihnen endlich schreiben! Sie sind ein Schmerzensmann, Sie sind ein Künstler. Wir draussen an der Front wissen das zu schätzen. Sie schreiben für UNS.
Saufen ist weinen. Leben Ihre besten Saufkumpels noch? Wir wären bereit für Berlin.
Herzlichst
Ihr H. H. Schomberg