ich habe seit heute, dem 31.07.2008, ein ganz mieses Gefühl, was die zukünftige - manchmal durchaus Widerspruch hervorrufende - Lektüre Ihrer "Post" angeht.
Mir fehlt heute die heitere, ungezügelte Lebensfreude und der Furor, die pure positive Weltromantik, das klare Schwarz-Weiß / gut-böse, das weltrettende Momentum & nach vorne Schauende, daß Sie sonst an den Tag legen - bereiten Sie etwa Ihren Abschied vor?
Sie schreiben...
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Liebe Eckkneipe,
ich glaube, dass gestern Nacht nur auf das Bundesverfassungsgericht angestoßen wurde. Das Bier war blond, die Luft war blau und die Kneipe endlich voll. Es darf wieder geraucht werden in der Eckkneipe, dem zweiten Wohnzimmer der Deutschen.
Was bedeutet Rauchen? Wegpusten, Sorgen wegpusten. Was bedeutet Eckkneipe? Museum der Huster, das Museum der Männer und Frauen mit den gelben Fingern.
Für mich ist eine Raucherkneipe eine Sozialstation. Es rauchen da Männer ohne Frauen, Männer ohne Job, unglückliche Männer. Sie gucken den Rauchwolken nach. Zigarettenwolken, Lebenswolken.
Männer in einer Eckkneipe sind lungenkrebsgefährdet. Aber sie sind
noch mehr gefährdet, an Einsamkeit zu sterben. Von Lungenkrebs zerfressene Männer sagten mir, dass die Eckkneipe ihr Schönstes war.
Bier trinken, rauchen, auf Fußballspiele wetten.
Was für ein elender Tod für Raucher in der Eckkneipe.
Herzlichst
Ihr F. J. Wagner
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Das ist so düster heute, so hoffnungslos. Vielleicht aber auch ungeheuer biographisch?
Durchhalten! Weitermachen! Doch: Wie ist eigentlich Ihre momentane Vertragssituation?
Ende 2007 ist doch Ihr Chefredakteursvertrag ausgelaufen, oder?
Verlängert man ihn? Unter Umständen könnte man Sie - so ins Unreine gedacht - falls man in Berlin bei Springer Ihre Ursache-Wirkung-Umsetzung in einer Person nicht zu würdigen weiß, als Pressesprecher für meine Fußballgruppierung Borussia Mönchengladbach gewinnen? Als Rädelsführer der unbequemen Wahrheit!
Oder: Sind Sie etwa vertragslos und keiner weiß etwas davon?
Also, ich stell' mir das ganz kindlich-romantisch so vor, dass Sie trotz ausgelaufenem Vertrag jeden Tag brav zur Arbeit gehen und Ihre Kolumnen/Briefe abliefern, und es bei Springer niemand übers Herz bringt, dem alten Mann Ihnen zu sagen, daß Ihre Zeit abgelaufen ist.
Wobei zur Arbeit gehen in Ihrem Falle heißen kann, glaubt man den Schlechtmeinern, dass Sie mittags um zwei Uhr aufstehen, die BILD-Zeitung lesen und fernsehen, Ihre Meinung entwickeln und das Tagwerk zu Papier bringen und sich anschließend in der Paris-Bar langsam in die Dämmerung trinken.
Sei's drum. Der heutige Brief ist wieder ein Meisterwerk.
Endlich wieder schwarze Romantik und Männerleid. Hemingway und Joseph Roth, "Männer ohne Frauen" und "Die Legende vom heiligen Trinker".
Saufen ist weinen.
Ihre Kritiker verstehen Ihr Œuvre nicht! Diesen Erbsenzählern und Kuschlern sei gesagt: Wagner ist ein Romantiker! Nicht unumstritten, aber er meint es immer ERNST.
So bald Ihr einen Roman wie "Das Ding" oder "Im September, wenn ich noch lebe", abliefert und dann noch in der Lage seid, die Anpassungsleistung hinzukriegen und als Ghostwriter für Beckenbauer UND Becker zu agieren und dabei über 20 Jahre nie ein gewisses, hüstel, "Grundrauschen" verliert, dann, ja dann will ich nichts gesagt haben. Unser Wagner liebt die Freiheit.
Überhaupt ... bringen Sie endlich Ihre besten Briefe als Buch heraus! Ich helfe Ihnen gerne bei der Auswahl! Und das ZAG auch.
Für Sie, Herr Wagner, die besten Grüße & machen Sie bitte, bitte weiter.
Ihr H. H. Schomberg
P.S: Ein Informant von mir aus Berlin (Springer-Umfeld), schrieb noch am gleichen Tage auf meine "Vertragsfrage": "[...] Well... what can I say? Du hast es auf den Punkt gebracht. Hab keine Ahnung, ob der feine Herr noch weitermachen darf... gehe mal davon aus, denn es gibt ja mit dir zahlreiche Leser, die ihn verstehen und von ihm verstanden werden... übrigens solltest Du dies ihm bzw. der Leserredaktion vielleicht auch mal selbst so schreiben. Die nehmen so was wirklich ernst und freuen sich." Was ich hiermit tat!