Zur Vernunft im Menschen
Als großer Verehrer von Voltaire und seinen Thesen gehe ich immer vom Grundsatz aus, dass alles Handeln des Menschen von Vernunft motiviert sein sollte. Dass selbst die größte Greueltat auch immer einen für den Täter vernünftig wirkenden Grund haben würde. Führt man diese These weiter, schließt sie ein, dass jegliches Handeln, das nicht einer unbewussten Abwehr eines inneren oder äußeren Reizes gleich zu stellen ist, von einer Überlegung gestützt wird. Wir Juristen sagen dazu, dass eine Person, die nicht in einem Zustand der Willenslosigkeit (also Demenz oder Volltrunkenheit u.ä.) handelt, immer einen irgendwie gearteten Vorsatz haben muss. Denn letztendlich basiert unser Strafsystem auf zwei humanistischen Grundideen:
1. Täter werden nicht eingesperrt, damit sie ihre Schuld sühnen, sondern damit sie die Schwere ihrer Tat eingestehen und sich bessern.
2. Täter werden nicht eingesperrt, weil sie eine Straftat begangen haben, sondern nur um zu verhindern, dass sie eine neue begehen.
Wir gehen also davon aus, dass ein Straftäter mithin nur bei Begehung seiner Tat eine falsche Werteabwägung begangen habe. Er, sobald er sich diesen Fehler eingesteht, in seinem weiteren Werdegang vernunftorientiert handeln werde. Das bedeutet: Menschen sind intelligent, Straftäter wissen, was sie tun, sie sind nur Straftäter gegenüber der Gesellschaft, weil ihr Wollen kein friedliches Zusammenleben ermöglicht.
Diese schönen humanistischen Theorien könnt ihr alle getrost in den Müll werfen. Durch meinen beruflichen Werdegang gehört es zu meinen täglichen Aufgaben, die Berichte der Polizeidirektionen zu lesen. Dabei stoße ich immer wieder auf Straftäter, bei denen offensichtlich keine kognitive Tätigkeit vor Begehung der Straftat zu erkennen ist. Täter, die offensichtlich keinen Vorsatz bei Begehung einer Tat bewusst gebildet hatten. Dadurch dass man aber - zumindest ein bisschen – nachdenken muss, um diese Taten überhaupt zu begehen, sie mithin keine unbewusste Tat sein können, sind sie verwerflich.
Um diesem Widerspruch zu entkommen, sucht der Jurist nach dem verfolgten (wenn auch verwerflichen) Ziel der Tat. Hierbei kommt man zu den absurdesten Güterabwägungen und dem krassesten Auseinanderscheren zwischen den verletzten Gütern und den erreichten resp. verfolgten Zielen. Insbesondere zur großen Frage, warum Schnaps- und Bierflaschen so eine magische Anziehungskraft auf Einbrecher üben... Aber macht Euch einfach durch folgende (von mir gekürzte) Beispiele, die ich seit März 2008 gesammelt habe, selber ein Bild.
(N.B.: Selbstredend ist die Polizeidirektion Marburg-Biedenkopf unter der Rufnummer: 06421-4060 zu benachrichtigen, wenn jemand Angaben zu den hier weitergegebenen Taten machen kann.). Vielen Dank an die Pressesprecher der Polizeidirektion Marburg-Biedenkopf Jürgen Schlick und Martin Ahlich für ihre inspirierenden Sachverhaltsschilderungen im Presseportal. Ich wünschte, dass alle Tatbestände, die ich während meines Referendariats zu lesen hatte, ebenso leserfreundlich formuliert wären.
I. KURZDENKENDE STRAFTÄTER
Bei zu kurz denkenden Straftätern handelt es sich um eine ganz besondere Gattung von Tätern. Sie sind letztlich der Strafverfolgung liebste Täter. Ihr Hauptaugenmerk ist irgendwieimmer: „Wie muss ich mich verhalten, damit es auf jeden Fall schief geht?“ oder „Was muss ich tun, um schnell verhaftet zu werden?“.
IA. DIE LEICHTSINNIGE TATBEGEHUNG
01.) Wen wollte dieser Mann täuschen?
Wohratal: Sein Engagement, eine Haft abzuwenden, war für einen 34-jährigen Mann nur vorübergehend von Erfolg gekrönt. Es endete letztlich nicht nur doch in der Justizvollzugsanstalt, sondern vermutlich auch mit einer Verlängerung des dortigen Aufenthalts. Gegen den Mann aus Wohratal lag ein Haftbefehl des Landgerichts Kassel vor. Er sollte für 39 Tage in Haft. Der Betroffene erreichte beim Gericht die Aussetzung des Haftbefehls gegen Zahlung von 500 Euro. Er legte der Polizei Stadtallendorf einen entsprechenden Einzahlungsbeleg vor. Als bei der Gerichtskasse nur 50 Euro eingingen, kam der Haftbefehl prompt zur Polizei Stadtallendorf zurück. Die neuerliche intensive Überprüfung des damals eingereichten Einzahlungsbelegs brachte dann Klarheit. Der 34-jährige hatte ganz geschickt auf dem Einzahlungsbeleg aus der 50 eine 500 gemacht und diesen verfälschten Schein vorgelegt. Die Strafe dafür folgte auf dem Fuß. Die Polizei beendete die vorübergehend "erkaufte" Freiheit und nahm den Mann fest. Sie leitete zudem ein neues Verfahren wegen Urkundenfälschung ein. Derzeit denkt der Mann in der Justizvollzugsanstalt über sein Tun nach.
www.presseportal.de/polizeipresse/pm/43648/1183492/polizei_marburg_biedenkopf
02.) Ein Rollerfahrer der es unbedingt wissen wollte
Marburg: Der Polizei fiel am Dienstag, dem 13. Mai, gegen 20.10 Uhr ein Roller auf. Das lag daran, dass der Fahrer sofort drehte, als er den Streifenwagen erkannte. Die Polizei folgte dem Roller, der weder Kennzeichen noch eine Beleuchtungseinrichtung hatte und mit hoher Geschwindigkeit davon fuhr. Der junge Mann missachtete sämtliche Versuche, ihn anzuhalten. Er ignorierte das Blaulicht, das Martinshorn, das „Stopp Polizei“ und auch das entsprechende Handzeichen und Zeichen mit dem Anhaltestab, als der Streifenwagen nebenher fuhr. Er bog in einen Feldweg ab und versuchte, die Polizei mit einer zum Teil halsbrecherischen Geschwindigkeit von 60 km/h abzuschütteln. Die Geschwindigkeit wurde ihm letztendlich auch zum Verhängnis. Er verlor die Gewalt über seinen Roller und fuhr fast ungebremst gegen die Fahrertür des Streifenwagens. Hierdurch stürzte er in den mit Brennnesseln und Sträuchern überwucherten Graben. Bei der anschließenden Festnahme schlug und stieß er letztlich erfolglos die Polizeibeamten von sich. Der 15 jährige Mann stand nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen, hatte aber auch keine Fahrerlaubnis.
www.presseportal.de/polizeipresse/pm/43648/1191690/polizei_marburg_biedenkopf
03.) In einem (fahrenden) Streifenwagen sitzen meistens Polizisten drin
Marburg: Die erste Strafe für das Beschädigen eines Streifenwagens ereilte einen 36-jährigen Mann aus Lensahn auf dem Fuße. Die Polizei war in Schrittgeschwindigkeit von der Neustadt zur Wettergasse unterwegs. Der Täter hatte dabei quasi im Vorbeigehen den linken Außenspiegel des Streifenwagens mit der Faust bearbeitet. Der Spiegel klappte durch die Beeinträchtigung ein, die Verkleidung sprang ab und das Gehäuse riss. Er versuchte zu flüchten und stürzte nach 250 Metern. Die verfolgenden Polizeibeamten nahmen den Mann am Dienstag, dem 10. Juni, um 0.30 Uhr, fest. Den Mann erwartet ein entsprechendes Strafverfahren.
www.presseportal.de/polizeipresse/pm/43648/1208822/polizei_marburg_biedenkopf
04.) Einbrecher hatte dann doch kein Appetit mehr
Cölbe: Zu einem Einbruch in eine Imbissstube in der Straße Unterm Bornrain kam es zwischen Montag, dem 26. Mai, 21.30 Uhr und Dienstag, dem 27. Mai, 8.20 Uhr. Nachdem der unbekannte Dieb die Holzeingangstür aufgehebelt hatte, entnahm er aus dem Kühlschrank eine Packung mit Frikadellen und stellte diese auf der Theke ab. Dort ließ er sie aus unerklärlichen Gründen stehen und verließ ohne Beute den Imbiss.
www.presseportal.de/polizeipresse/pm/43648/1199519/polizei_marburg_biedenkopf
05.) Durst ist kein guter Ratgeber
Marburg: Das Stillen seines Durstes brachte am Samstag, dem 28. Juni, einen Mehrfach- und Intensivtäter ins Gefängnis. Der 27-jährige Mann aus Hermershausen leerte in einem Lebensmittelmarkt in der Rosenstraße eine Getränkedose und stellte sie anschließend ins Regal zurück. Sein Pech war, dass ihn ein Ladendetektiv beobachtet hatte und nach einer kurzen erfolglosen Flucht stellte. Dem aufmerksamen Detektiv entging nicht, dass der Verfolgte während der Flucht etwas in ein Gebüsch warf. Bei der Nachsuche, gemeinsam mit der Polizei, tauchten etwas über zehn Gramm Heroin und 755 Euro Bargeld in dem Gebüsch auf. Der Intensivtäter besitzt nach den Ermittlungen keinen festen Wohnsitz. Er steht zudem ohnehin unter Bewährung und hält sich an keinerlei Auflagen. Jetzt befindet sich der Mann in der Justizvollzugsanstalt.
www.presseportal.de/polizeipresse/pm/43648/1219675/polizei_marburg_biedenkopf
06.) Wenn man schon beim ersten mal nicht geschnappt wurde
Marburg-Gisselberg: Ein und dieselbe Person dürfte in der Nacht zum Freitag, dem 4. Juli, für einen versuchten Einbruch verantwortlich sein. Ungewöhnliche Geräusche und der Lichtschein einer Taschenlampe vor der Eingangstür machte gegen 1.40 Uhr die Bewohnerin eines Hauses in der Gießener Straße hellhörig. Die Bewohner des Hauses konnten bei einer ersten Nachschau allerdings nichts feststellen. Gegen 3.30 Uhr bemerkte die Frau erneut den Lichtschein einer Taschenlampe vor der Haustür. Als sie nun wieder nachschaute, überraschte sie eine ca. 170 cm große mit Kapuzenpulli und Shorts bekleidete Person vor dem Haus. Der Mann flüchtete sofort.
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07.) Mit einer Spitzhacke kann man auch anklopfen
Marburg: Mit einer Spitzhacke brach ein Einbrecher am Sonntag, dem 17. August, gegen 04.30 Uhr die Eingangstür einer Wohnung in der Wehrdaer Straße auf. Der dabei vom Täter verursachte Krach weckte den 23-jährigen Bewohner. Der Mann trat aus seinem Zimmer in den Hausflur und sah sich dem Einbrecher, der die Spitzhacke noch festhielt, gegenüber. Der Mieter schrie den wohl ebenfalls überraschten Einbrecher so lautstark an, dass er unmittelbar die Flucht ergriff. Sein Einbruchswerkzeug ließ der Täter zurück.
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08.) Wer sich zu unauffällig benimmt, fällt auf
Büdingen/ Kreis Hersfeld-Rotenburg: Instinkt oder anders ausgedrückt die polizeiliche Erfahrung ließ am Dienstag, dem 23.September, eine Zivilstreife der Marburger Polizei etwas genauer hinschauen, als sie gegen 13 Uhr im Bereich des Gewerbegebietes Marburg -Wehrda einen roten Opel Astra mit Fuldaer Kennzeichen bemerkte. Als die beiden Männer aus dem Wagen anschließend ständig auf Vorsicht bedacht und sich auffällig umschauend mehrere Märkte betraten, war den Beamten schnell klar: Hier müssen wir mal dranbleiben! Über mehrere Stunden beobachteten dann Fahnder das Duo bei dem Besuch diverser Märkte in 5 weiteren Gemeinden des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Bei der Weiterfahrt in Richtung Süden kam es am späten Nachmittag im Bereich Büdingen zu einer Polizeikontrolle. Dabei stellten die Beamten 40 Flaschen Schnaps, diverse neuwertige Kosmetikartikel, Lebensmittel sowie eine so genannte Diebesschürze sicher. Bei der anschließenden Durchsuchung einer Wohnung im Kreis Hersfeld-Rotenburg fand die Polizei ähnliche Artikel vor und stellte sie sicher. Da die Beamten das vermeintliche Diebesgut nicht konkret zuordnen konnten und ausreichende Haftgründe fehlten, mussten die Ermittler das Duo nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft auf freien Fuß setzen.
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09.) So ist es richtig: Zuerst auffallen, dann erst fallen
Bad Endbach Hartenrod: Ein junger Mann fiel durch ständigen Provakationen beim Oktoberfest auf. Die Veranstalter benachrichtigten am Sonntag, dem 19. Oktober, um 01.45 Uhr die Polizei. Als die kam, fuhr der Störenfried inklusive Sozius gerade mit einem Roller davon. Die Zivilstreife beobachtete dabei, dass der Roller Fahrt aufnahm und der Fahrer direkt auf eine Gruppe anderer Festbesucher losfuhr. Ein 24-jähriger Mann und eine 21-jährige Frau brachten sich durch einen beherzten Sprung zur Seite in Sicherheit. Die Streife nahm die Verfolgung auf und versuchte alles, den Rollerfahrer zum Anhalten zu bewegen. Er reagierte weder auf das Blaulicht noch auf das Martinshorn noch auf die "Kelle". Selbst das Zurufen durch das geöffnete Fenster bei langsamer Fahrt an einer Steigung bewegte ihn nicht zum Anhalten. Die Fahrt endete schließlich in einer scharfen Kurve auf Schotter. Trotz recht geringer Geschwindigkeit stürzten die beiden Zweiradfahrer. Der Fahrer flüchtete zunächst, besann sich jedoch und kehrte nach wenigen Minuten mehr oder weniger freiwillig und selbst leicht verletzt zu seiner ebenfalls verletzten 18-jährigen Freundin und Mitfahrerin zurück. Die Polizei Biedenkopf nahm den 24-jährigen Mann aus Günterrod vorübergehend fest. Er stand unter Alkoholeinfluss und besitzt keinen Führerschein.
www.presseportal.de/polizeipresse/pm/43648/1285519/polizei_marburg_biedenkopf
Gastbeitrag von P. Swen Rohrer.
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