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In Strafräume gehen (I und II)Bitte lesen sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!
Willkommen zur 250. Ausgabe von "Schombergs Welt". Hätte ich den im Jahr 2002 und 2003 etablierten wöchentlichen Rhythmus beibehalten, redeten wir über 400 Ausgaben. Oder mehr. Aber die Erwerbsarbeit und das reale Leben fordern ihren Tribut. So oder so: 250 Ausgaben sind ein Brett eine stolze Zahl und das war für mich im Sommer 2002 so noch nicht abzusehen. Mittlerweile habe ich mich bei einer Veröffentlichung alle 2,7 Wochen eingependelt (sag' ich mal so - ich hab's natürlich nicht nachgeprüft - Quellenkritik ist was für Schwächlinge). Fände ich mich ein wenig besser in Google Analytics zurecht, so könnte ich auch etwas zur Reichweite und Klickraten von SW sagen. Warum fehlt die Zeit? WEIL ICH DOCH IN DEREN FREIEN TEIL IN STRAFRÄUME GEHEN MUSS! Dahin, wo's wirklich wehtut. Dennoch wird diese Bereitschaft nicht immer von allen Menschen aus dem Sozialnahumfeld gewürdigt...
heiko, wenn dir auch nur irgendetwas an unserer freundschaft liegt: zu pocher gehst du nicht! das hüpft nicht mehr! ich habe dir raab verziehen, ich habe dir elvers-elbertzhagen verziehen, ich werde dir stuckrad-barre verzeihen. pocher könnte ich dir nicht verzeihen!
IRGENDWO muß doch mal ne grenze sein...
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Pocher habe ich mir dann wirklich nicht mehr erarbeitet, das hüpfte in der Tat nicht mehr (out of bounce)! Aber es gilt noch, den Besuch bei der Bildungsbürger-Castingshow "Unser Star für Oslo" und "Die Reifeprüfung" mit Jenny Elvers-Elbertzhagen (im weiteren "JEE") zuzugeben. Wichtig ist immer, alles direkt zuzugeben!
Der Besuch im Studio bei Raab ist schnell abgehandelt: Es war die machtvolle Demonstration der Bildungsbürgercastingshow mit Sicherheitsvorkehrungen, wie man sie am Flughafen von Tel Aviv erwartet; 4,5 Stunden in einem Studio ohne Getränke und austreten darf man auch nicht; lange gepflegte Feindbilder wurden aufgebrochen und Raab war einem sympathisch. Nur der Klatschzwang nervte. Dazu mehr dereinst in einem Prosatext - Raab hat sich erfolgreich als Anti-Bohlen durchgesetzt und der kleine Springball Lena, die Dame mit dem antrainierten Akzent eines Bierkutschers aus Bermondsey, hat gewonnen. Und das "Kommando Kalk" (KK) damit am 29. Mai einen festen Termin. Denn es gilt sie zu unterstützen: "Lena Meyer-Landrut versöhnte die bürgerliche Mitte mit Pop, Fernsehen und der Jugend von heute." So ist es.
Wenn man jedoch diese Grenze überschreitet, den Besuch einer Livesendung bei den Privaten, ja dann ist eh alles egal: Als Strafraumstürmer, ja eher Handball-Kreisläufer, kann man auch das Undenkbare tun: Ins Boulevardtheater gehen. Einer der Mitglieder des KK unterbreitete den Vorschlag, sich einmal live und in Farbe einen Überblick über das schauspielerische Vermögen von JEE zu verschaffen. Wir taten es. No surrender!
Beseelt von der eigenen Courage, Dinge zu tun, stand für mich dann der erste Besuch eines Boulevardtheaterstückes seit 1987 (!) an. Beim letzten Mal war es "Harold & Maude" in West-Berlin, im Rahmen des obligatorischen Frontstadtbesuches eines Schülers aus NRW in der 10. Klasse. Ich hatte also damals keine Wahl; diesmal hatte ich eine und drang freiwillig in den Sechzehner ein, gemeinsam mit den Kalker Dangerseekern – dem Tagteam für gemeinsam erlebte Gefahren, wie z.B. Bingoabende. Fangen eigentlich alle obskuren Veranstaltungen mit „B“ an? Boulevardtheater, Bingo, Brivatfernsehen? Im Vorfeld hieß es, die schauspielerische Leistung von Frau Elvers-Elbertzhagen sei im us-amerikanischen Sinne "interessant" – aber seit dem die sich sogar für Dinge wie "Krankenversicherung" interessieren, scheint das auch kein Indikator mehr für eine darstellerische Minderleistung zu sein. Das Theater am Dom atmete den Eiseshauch der Geschichte, bekannte Mimen aus der Jugend lächelten einen vom Plakaten an, man fühlte sich zurückversetzt in die gute Alte Bundesrepublik.
Gegeben wurde eine Adaption von Webbs "Die Reifeprüfung", das Buch hatte ich zweimal gelesen, den Film mit Sportsfreund Hoffmann recht genau vor Augen, ich fühlte mich also gut vorbereitet. Nachdem wir einen angenehmen Sitzplatz gefunden hatten, konnte es losgehen.
Die postitiven Dinge herausgestellt: Das Bühnenbild war sehr gut. So gut, dass einer der Mit- und Wiedergänger eine Projektion auf der Bühne für ein richtiges Aquarium hielt. Es gab eine sehr gelungene Szene mit Efeu-Begrünung, die jedoch nur mich faszinierte, so dass ich sie Euch erspare. Und auch der Altersdurchschnitt war anders als erwartet, jünger, obwohl das KK den Durchschnitt mittlerweile nicht mehr entscheidend zu senken in der Lage ist. Ich fand das Publikum nicht so schwierig wie andere Corpsbrüder ("Das Publikum hingegen löste bei mir ein zweistündiges Dauerfremdschämen aus."). Das Stück begann mit einer Art "Lord-Vader-Atmen", ich wähnte den Hüter der Ordnung im Universum jeden Moment auf der Bühne und JEE auf die helle Seite der Macht abschiebend. ;-)
Mein erneutes Bemerken des verhältnismäßig jungen Publikums wurde dann recht eindeutig erklärt: „Das sind vermutlich alles Schauspielschüler, die sich noch ein paar Tricks und Kniffe von Jenny Elvers abgucken wollen!“ Warum ich da nicht gleich drauf gekommen bin?! Die nächste, im Halbdunkel verfertigte Notiz, die ich selbst wieder entziffern konnte, ist "Boar, ist das schauspielerisch miserabel!". JEE, auf unfassbar highen Heels, gibt die Mrs. Robinson und löst – jedoch nicht nur sie – mehrfaches ungläubiges Kopfschütteln und Fremdschämen aus. Ich fühlte mich die ganze Zeit wie ein Gaffer bei einem schweren Verkehrsunfall. Dann, auf einmal, ich glaub', die Dramaturgie erforderte es: JEE in Strapse und Unterwäsche: Diese Bilder bekomme ich ohne professionelle Hilfe nie mehr aus dem Kopfkino. Einige Darstellerleistungen waren abenteuerlich schlecht, einige sehr gut. Ich lernte, dass offener Szenenapplaus im B-Theater durchaus zum guten Ton gehört, es war alles so anders als zum Beispiel in der Burg (Wien). Die Inszenierung hatte partiell etwas WDR-schülerfernsehenhaftes, so etwa aus dem Jahr 1986/87… Das war vor allem deswegen etwas irritierend, da der Regisseur sich mit der Inszenierung von "39 Stufen" viele Freunde gemacht hatte. Vielleicht kann man nur so gut sein, wie das Spielermaterial das einem zur Verfügung steht, siehe auch Mönchengladbach, Borussia. Dafür trug der Darsteller von Mr. Robinson sehr schön zweifarbige Golfschuhe aus Plastik.
Eine sehr gefällige Idee waren zwei Gitarristen, die, rechts von der Bühne plaziert, das gängige Simon & Garfunkel-Repertoire sehr charmant und engagiert abspielten. Sie waren es auch, die nach dem Pausentee dem Publikum signalisierten, dass die Chose weitergehe; just, als ich Anja noch zuzischeln wollte, "Wetten, dass gleich geklatscht wird! Ist das eigentlich commentgemäß im Boulevardtheater?", forderten die Musiker uns auf, mitzuklatschen; sie klatschen, wie eine anwesende Fachfrau feststellte, auch direkt auf die "1", obwohl die "2" richtiger gewesen wäre. Sie wussten halt, dass man dem Publikum nicht zu viel zumuten durfte. [internes Memo: Mit dem Pausentee auf Ende der Kolumne?] Man darf dem Publikum, also auch dem Lesepublikum, nicht zuviel zu muten! Und deshalb verwerfe ich meine Idee, mit der Pause des Stückes auch diese Kolumne enden zu lassen & nächste Woche fortzusetzen. Denn im zweiten Teil des Stücks, der keine neuen und großen Erkenntnisse brachte, wurde es gefälliger, aber nicht gut; JEE war selbst beim Verbeugen ein Fremdkörper. Am Hintereingang wartend erfuhr man noch einiges über das "Kosenamenportfolio" von JEE und so endet Strafraum II.
Tja, und die vom ZAG erwähnte Lesung von Dr. Ulmen und Stuckrad-Barre im Rahmen der lit.cologne war einfach nett und unterhaltsam: Nichts, dessen man sich schämen müsste. (Das hätte ich vor acht Jahren so auch nicht geschrieben!). Egal: Wir befinden uns in der Neuen Bundesrepublik, wir sind, ich zitiere Prof. Dr. Tünntoaster, "jetzt in der Showgirl-Ära à la Berlusconi angekommen. Vielleicht ist Dolly Buster heute abend bei "Hart, aber doof!". Und Heidi Klum, Jens Lehmann, Bischof Wixa und Guido Westerwelle. Einer der Pokerturnier-Gangster wird live mit verfremdeter Stimme zugeschaltet. 'Frau Buster, wie stehen Sie zum Thema Mindestlohn?'" Ich würde ihm ja widersprechen. Könnte ich es. Eines jedoch weiß ich:
Ich faste nie im Kopf! Euer Schomberg (Heiko Heinrich, Graf von und zu Blofeld).
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