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Als ich am Nikolaustag 2007 an der Bar des InterConti einige Wrestler traf [Kalker Schriften zur Europäischen Ethnologie IV]
Es begann mit dem All-Time-Klassiker, als ein sehr erfahrener Kollege zu mir – nach dem Weihnachtsessen der Abteilung in Bad Homburg v.d.H. - die noch nie gesprochenen Worte „Lass’ uns noch ein Bier an der Hotelbar trinken!“, sprach. Im Nanosekundenabstand entgegnete ich ein abwägendes „Überredet!“. So nahmen die Dinge ihren Lauf.
Vor dem InterConti um die Uhrzeit (01.00 Uhr) noch sehr viel Bewegung und ein ungewohnter Menschenauflauf; da in Hessen in den Gebäuden nicht mehr geraucht werden darf, gefühlte 200 Menschen – rauchend und gestikulierend - vor dem Hotel; wir steigen aus dem Taxi, ich erkenne den ein oder anderen „Bodenständler“, der T-Shirts mit subtilen Botschaften wie „Mach' ihn alle, Undertaker!“ oder „Alles außer Wrestling ist shicé!“ trägt und bin ein wenig irritiert. Sind das die negativen Folgen des Rauchverbotes in Hessen? Nein, es gab am Nachmittag einen Wrestlingauftritt in Frankfurt am Main und nun ist Berufsringerfeierabend:
Wie heißt es so schön im korrespondierenden SPON-Artikel:
Wolfgang Stach, Gründer des Szenemagazins "Power Wrestling", weiß um das negative Image der Schlag-und-Schwitz-Orgie: "Wrestling wird in Deutschland von vielen Personen, vielleicht sogar den meisten, als dumpfes Gekloppe irgendwelcher hirnloser Muskelprotze wahrgenommen", klagt Stach. Zu Stachs Leidweisen verweigert sich vor allem die Werbeindustrie hartnäckig dem Schwitzkastensport.
Ich betrete an der Bar eine fremde Welt, Zwei-Meter-Schränke, die sich in einem Idiom unterhalten, das sie für englisch halten und jedes Mal sind die Groupies (circa 50 Boys und Girls in der Lobby) entzückt, wenn ein neuer Wrestler an die Bar kommt. Die InterConti-Bedienungen machen gute Miene zum ungewohnten Spiel, aber man sieht ihnen an, obwohl sie gnadenlos freundlich und dienstleistungsorientiert sind, dass sie mit der Situation irgendwie, amorph, ganz subkutan, überfordert sind.
Mit einem – vornehm ausgedrückt – „rustikalen“ Iren einen Wortwechsel um den letzten freien Stuhl an der Bar gehabt und meinungsstark in bestem „Millwallisch“ meine Ansprüche auf die Sitzgelegenheit geltend gemacht. Da dort auch zwei Fans mit einem Liverpool-FC-Trikot rumlungern, denke ich zuerst an Fußball, dass wieder irgendein überschätzter europäischer Verein sein Spiel gegen die Scousers in Ffm austragen muss, doch die Typen, die dann peu á peu an die Tränke kommen, sehen nicht aus wie Lizenzfußballspieler. Es sei denn, es gäbe ein Team, das nur Leute mit der Physiognomie und dem Charme eines Vinnie Jones rekrutiert ;-))
Es war unglaublich viel los und das zu durchaus vorgerückter Stunde. Finlay, echt kein freundlicher und charmanter Mensch, wird sehr böse sein, wenn er erkennt, dass ich ihm auf dem gemeinsamen Photo - mit entrückt-fasziniertem Blick - „Osterhasenohren“ habe angedeihen lassen:
(li.: Im Vordergrund ist auch noch „Hirnbrille“ oder „Hornswoggle“ zu erkennen, der zusammen mit Finlay ein sog. "Tag-Team" bildet. re.: Festus - mit Mütze - im Hintergrund)
Oder wie der SPON-Artikel Finlay charakterisierte: „(…) ein fies dreinblickender Ire mit dem Charme eines Schlachtermessers.“ Aber ganz umgänglich, wenn man sich als Nichtwrestlingfan zu erkennen gibt und sich zum Fußball bekennt. Das meiste dabei ist ja ohnehin Show.... hoffe ich!!!!
Ich habe der Wrestlingfan-Kultur-Verbindungsoffizierin („Peggy S.“), die wir dort trafen, viele Fragen gestellt, mir die Aufteilung in „gute“, „böse“ und „noch unentschiedene“ Wrestler erklären lassen („Ach so, und der Vampir weiß noch nicht, ob er gut oder böse ist, ja?“ „Nein, das ist noch nicht raus!“). Danach genieße ich mein neues Wissen, gehe zu „The Edge“ (Kanadier, mag Weißwein), sage: „Hey, Edge, how ya doin'?’“ „Fine, how are you?“ „Brilliant, thank you!“, fühle mich gut. Mein erstes Zwiegespräch mit einem kanadischen Berufsringer - es war tragisch - faustisch - undeutlich.
Festus. Festus ist, wie ich dank Peggys Kurzvorstellung erfahre, wohl so etwas wie der Rodeoclown der Truppe und ich hole mir ein Autogramm. Während mein Kollege „The Edge“ auf einer Papierserviette unterschreiben lässt, ziert das ungelenk verfasste „Festus“ mein Notizbuch Nummer 109. "Ein Gott braucht keine Ironie" (Ernst Jünger).
Zwockelzwerg oder Whistleblow oder wie der heißt, ach ja, Know-How-Einflüsterung Peggy, Hornswoggle, versucht sich in der Kontaktaufnahme mit einem weiblichen Fan, mir fällt ein sehr aufmerksamer Mitarbeiter auf, der stets dafür sorgt, dass bei Photos mit den Berufsringern kein Bier oder Wein auf dem Bild zu sehen ist. Guter Mann. Brauchbar. Der würde aus Imagegründen auch Helmut Schmidt das Mentholzigarettenrauchen im Fernsehen abgewöhnen. Und hätte damit Erfolg. Gehe zu ihm und zolle ihm Anerkennung, er antwortet gutural: „Thanks man, that’s my profession!“.
Das Gehirn, Eutergesicht und Patient (oder wie man als internationaler Schauringer mit bürgerlichem Namen eben so heißt), fühlen sich scheinbar wohl im Kreise ihrer Anhänger; mich würde es enorm stören, beim Feierabendbier nach einem anstrengenden Tag, noch die ganze Zeit für die Fans da zu sein. Profis halt, in jeder Hinsicht ;-).
Am nettesten war aber „Der Vampir“, der sich für ein ausgegebenes Bier für zwei Photos zur Verfügung stellte. Obwohl er nicht so genau wusste, was er von den Photos – eher: von den beiden Deutschen, die offensichtlich keine Catchfans sind - halten sollte:
Der Vampir Kevin Matthew Fertig gen. Thorn, Bild 1
Der Vampir Kevin Matthew Fertig gen. Thorn, Bild 2
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Leider fand ich ihn nicht auf Wikipedia, dann muss ich mich wohl doch mal auf dem Fachinternetauftritt http://www.genickbruch.com/ umschauen. Eine fremde Welt. Wenn ich das Englisch der Kämpfer nicht verstehe, frage ich, ob sie aus Lettland sind, was die meisten Jungens aus Gründen der Simplifizierung der Kommunikation bejahen („Yes, I’m from Latvia!“ „Nice!“ „No, not from France, Latvia!“). Alle, die dies bestätigen, kommen laut Genickbruch.com aus den USA. Mehr Schein als sein...
Als wir dann endlich die Bar um 03.15 Uhr verlassen, habe ich noch kurz eine Erscheinung, ein Mensch, unbezwingbar, groß und dick wie ein LKW betrifft die unwirkliche Szene und ich spüre die Erschütterung der Lobby bei seinen Schritten – es ist Big Daddy V. Und er verbreitet die Schwingungen eines T-Rex. Den würde ich gerne mal im Paukzeug Größe 70 sehen. Ich habe a) Angst und b) mir den Schlaf verdient und c) die Befürchtung, der Herr könnte - aus welchen Gründen auch immer - einen Groll gegen mich hegen. Zierlichen zarten Zwergen wie mir bricht ein Ding wie BDV mit zwei Fingern das Rückgrat und grinst dabei….
Kurzer Gedanke: Wäre der Titel „InterCatcher an der Bar des Conti“ oder „Catcher with a Rye“ nicht besser, wagnerischer und griffiger? Erschaudere ein wenig vor mir selber, als ich zu Festus gehe, ihm jovial auf die Schulter klopfe, meine Business Card zücke, auf deutsch hochrheinisch meine, „Jong, wennde' nach dem Driss noch jett Ordentliches machen willst...“. „What?“. „If you want to join a big company after your career - send me an e-mail.... an don't call me - I call you!“. Mit zitternden Fingern steckt er meine Visitenkarte ein.
Unter'm Strich: Ein Spätdämmerschoppen mit Berufsschauringern ist auch in meinem Erfahrungschatz etwas, das auf die Top-3-der-Bizarroerlebnisse gehört. Pointierter: Bei einem der regelmäßigen Leser dieser Kolumne provozierte es diese Aussage: „Brüllsuff mit Wrestlern - das hat dich in meiner Coolnessskala gleich hinter John Wayne katapultiert“.
Naja, ich war - wie damals - einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort! Glaube ich. Ich hätte ihnen noch das Konzept "Mensur" und "Bierjunge" erklären sollen, um sie wirklich zu verwirren. Naja, das nächste Mal halt.
Euch ein Frohes Neues 2008 und eines dürft Ihr nie vergessen:
Euer Kalkologe Wayne "Der Wasserfinder" Schomberg.
Mein Dank geht an Peggy S. für die zeitnahe Übersendung des Bildmaterials und an BB aus B für die Freigabe des Textes und der Photos!
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